Interview

Martin Türk-König ist Pfarrer in Ruhestand der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Er hat als Pfarrer die Zeit des kommunistischen Regimes erlebt. Neben seiner Arbeit in der Gemeinde Neudorf bei Schässburg hat er mehrere diakonische Projekte in Rumänien initiiert, unter anderem das „Haus des Lichtes“. Auch im Ruhestand engagiert er sich noch für Hilfsprojekte. Aus unserer Gemeinde unterstützt Heinz Fuss seine Arbeit. 

Uns in Deutschland kostet es keinen Mut, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Das war in Rumänien zumindest bis 1990 anders. Du bist unter dem kommunistische Regime Pfarrer geworden. War das mutig?

Letztendlich sieht Mut von außen anders aus. Als ich begonnen habe, Theologie zu studieren, war klar, dass es vielleicht keine Konfrontation mit der kommunistischen Ideologie geben wird, aber zumindest ein Nebeneinander in einer Spannung. Ich muss sagen, dass die reellen Gefahren mir erst später klar wurden. Wenn ich jetzt so zurückschaue, ist mir schon klar, dass es schon eine gefährliche Linie war, wo in vielem uns Gott durchgeführt hat. 

Wie war das konkret? 

Als ich meine erste Stelle angetreten hatte, kam eines Tages ein Offizier der Securitate. Er war ein Major, vielleicht Ende 50. Er wollte mir als jungen Absolventen auf den Zahn fühlen. 

Es ging dabei immer um Verunsicherung. Sie wollten den Menschen Angst machen. Dieser Major hat also zu mir gesagt: Sie müssen wissen, dass Sie alle Gesetze des rumänischen Staates befolgen müssen. Und ich habe als junger, idealistischer Mensch geantwortet: Natürlich halte ich mich an die Gesetze des Staates. Ich halte mich auch an die 10 Gebote der Bibel – und da sind doch alle Gesetze des Staates enthalten. Der Offizier meinte: So war das nicht gemeint. Man kann sich ja nicht an alles halten. Und ich habe gesagt: Doch, genauso. Aus der Kraft Gottes können wir das, und er muss uns immer wieder vergeben, wo wir es nicht tun. Das war vielleicht schon mutig, aber es war ja kein direkter Angriff. Danach haben sie mich jahrelang in Ruhe gelassen. 

Gab es auch Konflikte mit dem Staat in deine alltägliche Arbeit als Pfarrer?

Uns war es wichtig, Menschen zu festigen im Glauben und sie aus der Zwangsjacke der Ideologie zu befreien. Wir hatten ja nicht den Atheismus zu bekämpfen, wir hatten einfach unsere Existenz zu leben. Wir haben dann eben viel in den Grauzonen gewirkt. Wir haben zum Beispiel die Kinder zu Freizeiten eingeladen. Das war nicht erlaubt, aber auch nicht direkt verboten. Ich kann mich erinnern, als einmal wir eine Freizeit hatten mit über 50 Kindern und Müttern, kam gleich nach unserer Rückkunft der Dorfpolizist. Wir saßen am Frühstückstisch und haben ihn ganz freundlich eingeladen. Und er hat dann am Frühstückstisch gemeint: Also Herr Pfarrer, wir haben gehört, sie haben einen Ausflug mit den Kindern gemacht. Und ich habe gesagt: Ja, natürlich. Sie wissen ja, der Sommer ist so lang, und irgendwas müssen wir ja unternehmen mit den Kindern. Und er: Ja, aber sie haben auch etwas über Gott erzählt. Und ich sagte: Ja, was soll ich denn als Pfarrer anderes erzählen? Dass die Natur sich von allein erschaffen hat? Ich muss als Pfarrer doch sagen, dass Gott das gemacht hat. Und er meinte: Naja, aber passen sie auf! So lief das dann. Wir haben jedes Jahr wieder Freizeiten veranstaltet. Ich habe immer erst einen Tag vorher gesagt, dass wir morgen fahren, damit sie uns nicht aufhalten können. Wenn wir zurückkamen, haben die Parteigenossen mich jedes Mal herzitiert – das war auf der Ebene der Partei, nicht der Securitate. Und dann ging es jedes Mal so: Herr Pfarrer, da haben sie wieder einmal Glück gehabt, dass das nicht auf die Ebene der Kreisverwaltung gemeldet wurde. Zum Glück wissen nur wir das. Aber das dürfen sie in Zukunft nicht mehr machen! Ich habe dann jedes Mal einen Kaffee oder eine Schokolade dagelassen, aber nichts dazu gesagt. Aber ich habe schon gedacht, dass es irgendwann mal knallen muss. 

Zuletzt wurde ich dann eben doch zitiert zur Securitate. Wir haben Gäste aus dem Ausland aufgenommen, und das war verboten. Die haben auch Hilfsgüter gebracht. Damals hatten wir gerade eine Gruppe junger Christen aus Nürnberg im Haus. Mir hat man vorhergesagt: Lass dich nicht einschüchtern. Lass dich vor allem nicht in eine Schuld-Ecke drängen. Steh zu dem, was du tust! Ich hatte dann ein längeres Verhör. Das war aber wieder so ein Gespräch, wo ich wieder gemerkt habe: Der lebendige Herr war gegenwärtig, und das hat die berührt. Und dass das stimmt, was Jesus sagt: Macht euch keine Sorgen. Der Heilige Geist wird euch zeigen, was ihr sagen sollt. Das geschieht!

Das Gespräch lief in die Richtung, dass ich ein Mitarbeiter werden sollte. Ich habe gesagt, dass ich sie ja verstehe, weil sie auch das Beste für das Land wollen. Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen ihnen und mir. Was für einen Unterschied?, haben sie gefragt. Naja, für Sie ist der Himmel leer, für mich ist er voll! - das hat Gott mir in dem Moment eingegeben. Und das hat sie irgendwie erschüttert. Sie wollten mich dann zwingen, weil ich verbotenerweise Gäste aufnehme. Ich habe gesagt: Das stimmt. Aber wir nehmen keine Gäste auf, die die Marktwirtschaft propagieren wollen, sondern die die Realität des Kommunismus kennen lernen wollen. Sollen wir etwa keine Gäste aufnehmen, die unsere Realiät kennen lernen möchten? Zuletzt hat er dann gemeint: Sie müssen nicht einmal zu mir kommen, wenn Sie Bericht erstatten. Ich komme zu Ihnen. Dann habe ich gesagt: Wenn Sie zu mir kommen, wer wird dann mit mir noch offen reden? Bitte kommen Sie nicht. Ich möchte nicht, dass Sie zu mir kommen. 

Das war schon mutig, oder?

Mut würde ich so definieren: Mut war, dass Gott uns so gehalten hat, dass wir Vertrauen haben konnten. Es gab auch tote Momente, wo das Vertrauen nicht so groß war – die hat auch er überbrückt. Ich würde auch nicht sagen, aus menschlicher Kraft kann man Mut haben. 

Mut kann auch naiv sein – weil man die Gefahren nicht kennt. Ist wahrer Mut, sich von der eigenen Furcht nicht einschüchtern zu lassen? 

Naja, naiv waren wir nicht. Wir haben nicht damit gerechnet, dass der Kommunismus fallen wird, eher damit, dass irgendwann ein Märtyrertod dran sein wird. Das haben wir schon geklärt für uns – das muss man auch, wenn man bleibt. Wenn man Menschen durch Erkenntnis der Wahrheit frei machen will, dann musste man auch bereit sein, den Preis zu zahlen, wenn es sein soll. Obwohl es mir natürlich auch nicht klar war, ob ich das wirklich durchstehe, wenn es so weit gekommen wäre. Das muss in dem Augen- blick auch Gott geben. 

Das Interview führte Pfarrer Markus Müller